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17.Dezember 2002: Infektionskrankheiten
Windpocken- Varizellen, Windpockenimpfung
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In Deutschland - eine fast schon als Impf- Entwicklungsland zu bezeichnende Region - werden die Windpocken noch durchgemacht. Da die Komplikationsrate bei Kindern sehr gering ist, halte ich diese Entscheidung auch für richtig. Vor allem im Spiegel der leidigen Masern-Mumps-Röteln- Impfdiskussion muss man einfach dem medizinisch Machbaren in moralischer und vielleicht auch gesundheitspolitischer HinsichtTribut zollen und einsehen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine generelle Varizellen- Impfung in Deutschland nicht durchzusetzen ist. Windpocken sind wirklich eine harmlose Kinderkrankheit. Natürlich gibt es auch hier unangenehme Komplikationen, die aber sehr selten sind: cerebelläre (vom Kleinhirn ausgehend) Störungen, die zu bleibenden Hirnschäden führen können. Im Vordergrund stehen aber bei dieser eigentlich harmlosen Kindererkrankung allenfalls pflegerische Probleme, die insbesondere im Schleimhautbereich auftreten können.

Es gibt eine wirksame und gut verträgliche Impfung. Diese ist aber in Deutschland vorerst schwer erkrankten Kindern, die beispielsweise mit Cortison oder Zytostatika behandelt werden, vorbehalten. Auch Kinder mit einer schwerer Neurodermitis dürften zu diesem Personenkreis gehören.
Am besten ist es, die Kinder bekommen ihre Windpocken im Kindergarten und das ist in der Regel auch so. Im Erwachsenenalter können die Varizellen recht unangenehm sein und benötigen doch oft volle 2-4 Wochen zur vollständigen Ausheilung. Ein im Leben und im Beruf Unentbehrlicher wird sich also eher impfen lassen! Natürlich auch die junge Frau mit Kinderwunsch, die in der Kindheit die Windpocken nicht gehabt hat. Von der Ständigen Impfkommission (STIKO) wird die Impfung generell ab dem 18. Lebensjahr empfohlen.

Wenig bekannt ist - auch wird diese Tatsache selten in Lehrbüchern gefunden - dass auch im Kindesalter beide Erkrankungen in relativ kurzem Abstand vorkommen können. Jedem praktizierenden Kinderarzt ist geläufig, dass beispielsweise derselbe Patient im Kleinkindesalter an einer Infektion mit Windpocken und einige Jahre später im Kindergartenalter oder frühen Schulalter an einer Gürtelrose ("herpes zoster") erkranken kann. In jüngster Zeit habe ich sogar zwei Erwachsene erlebt, die glaubhaft ein zweites Mal Windpocken durchgemacht haben. Das gilt natürlich auch für die Impfung: ein hundertprozentiger Schutz ist nicht gegeben, aber trotzdem bleiben Impfversager große Ausnahmen

Der kleine Säugling bekommt von seiner Mutter, wenn diese Windpocken gehabt hatte, einen sogenannten Nestschutz und kann in den ersten Lebensmonaten (etwa 4.-6.Monat) keine Windpocken bekommen. Gefährlich werden die Windpocken für das Neugeborene, wenn seine Mutter am Ende der Schwangerschaft - um den Entbindungstermin herum - selbst an Windpocken erkrankt. Insbesondere, wenn die mütterlichen Windpocken vier bis fünf Tage vor bzw. bis 2 Tage nach der Entbindung auftreten, ist die Gefahr für das Neugeborene, schwere Windpocken zu bekommen, am höchsten. Die Windpocken sind dann für den jungen Säugling lebensbedrohend, da das Immunsystem noch schwach und unreif und die Abwehrsituation durch die fehlenden mütterlichen spezifischen Antikörper somit besonders ungünstig ist.

Eine "Varizellenembryopathie" (eine Organschädigung des ungeborenen Lebens durch eine Windpockeninfektion der Mutter) ist erfreulicherweise sehr selten, da offenbar das Varizellenvirus nur ausnahmsweise auf den Feten übertreten kann. Verkürzungen von Gliedmaßen mit Fehlbildungen der Zehen sowie segmentale Anordnung von Hautnarben des betroffenen Gliedes neben allgemeinen Embryopathiesymptomen (= Fehlbildungen der Organe wie Herz, Nieren u.a. beim Fetus) wurden beschrieben (zit. aus Lehrbuch "Pädiatrie in Praxis und Klinik"). Erfolgt eine Infektion im ersten Drittel der Schwangerschaft, werden gewöhnlich gesunde Kinder geboren.

Während meiner praktischen Tätigkeit habe ich noch nie ein Kind mit einer derart definierten, durch Windpocken in der Schwangerschaft erlittenen Erkrankung erlebt.

Aus den angelsächsischen Ländern wird insbesondere bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen die Windpockenimpfung propagiert. In England und Wales waren bereits 25 % der an Windpocken erkrankten und 74 % der Todesfälle über 14 Jahre alt. In den USA wird eine Windpockenimpfung auch bei Kindern generell empfohlen, damit eine Verlagerung in höhere Altersgruppen reduziert wird. Etwa 10 % der Frauen haben im gebärfähigen Alter keine ausreichenden Antikörper gegen Windpocken, so dass auch diese Personengruppe besonders für eine Impfung anvisiert wird. Vorstellbar wäre, dass auch in Deutschland bei Jugendlichen (die in der Kindheit keine Windpocken durchgemacht haben) eine Varizellenimpfung eingeführt wird. Möglich ist diese heute ja bereits auf freiwilliger Basis, wenngleich die Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen noch nicht erstattet werden.

Das Problem ist: Je mehr geimpft wird, desto mehr schwindet die Chance, sich mit Windpocken natürlich anzustecken. Im Moment infizieren sich etwa 80 - 90 % aller Kinder, vorzugsweise im Kindergartenalter. Das ist auch gut so. Im Erwachsenenalter ist die Rate von ernsthaften Komplikationen etwa 10 bis 20 mal häufiger. Hier ist eine Impfung sehr überlegenswert. Sinnvoll wäre eine Windpockenimpfung, die kombiniert werden könnte mit einer Diphtherie-Tetanus-Polio-Impfung, da diese Auffrischimpfung im Erwachsenenalter sowieso in Vergessenheit zu geraten droht.
Ganz aktuell: neueste Ausgabe des Robert- Koch- Institutes aus dem Epidemiologischen Bulletin vom 14. März 2003 Ausgabe 072004: Allgemeine Impfung gegen Windpocken?

In der Ausgabe des "Epidemiologischen Bulletins" des Robert- Koch- Instituts ( 43/2003 vom Oktober 2003) wird von einem Todesfall eines 37- jährigen Vaters berichtet, dessen beide Kinder im Kindergarten an Windpocken erkrankten. Dieser tragische Fall unterstreicht die Gefährlichkeit einer Windpockeninfektion im Erwachsenenalter. Gleichermaßen ist klar, dass eine frühzeitige Impfung in den ersten drei Tagen nach Ausbruch der Windpocken sinnvoll und notwendig ist, wenn in der Kindheit keine Windpocken durchgemacht wurden.
Die von der STIKO (Ständigen Impfkommission) empfohlene Impfung für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren, sowie für manche Risikogruppen sollte dahingehend ausgeweitet werden, dass Erwachsene, die früher keine Windpocken erlitten haben, bei Kontakt mit Windpockenerkrankten eine sogenannte Riegelungsimpfung erhalten, d.h. eine Varizellenimpfung so früh wie möglich nach möglichem Kontakt mit einem Infizierten.
Noch sinnvoller wäre eine generelle Windpockenimpfung bei allen Erwachsenen, die in der Kindheit nicht an Windpocken erkrankt sind.

Seit Juli 2004 hat die STIKO die Empfehlung herausgegeben, dass alle Kinder ab dem 12. Lebensmonat gegen Windpocken geimpft werden sollen. Die Begründung ist: Komplikationen, die doch schwerwiegend sind, von etwa 20 Todesfällen in Deutschland jährlich ist die Rede. Auch der volkswirtschaftliche Faktor fällt ins Gewicht.
Im Moment ist die geplante Kombinationsimpfung: MMR plus Windpocken noch nicht im Handel, auch ist die Kostenübernahme im Moment nur von einigen Kassen gewährleistet. Es ist aber anzunehmen, dass diese in den nächsten Wochen und Monaten von allen Kassen übernommen wird.

ein update (8.11.2005):
Seit Juli 2004 wird von der STIKO (Ständige Impfkommission) die Windpockenimpfung auch bei gesunden Kleinkindern zwischen 12 und 15 Monaten (bzw 2. Lebensjahr) sowie bei Jugendlichen ab 9 Jahren generell empfohlen.
Darüberhinaus soll auch das Kind einer Mutter, die erneut schwanger ist bzw werden kann, geimpft werden. Mutter und Baby können sonst vom älteren Geschwisterkind angesteckt werden.
Die meisten Krankenkassen richten sich nach dieser Empfehlung und übernehmen die Kosten der Impfung, die ab dem 12. Lebensjahr zweimal verabreicht werden sollte. Einige Krankenkassen wie z.B. in Sachsen, Hessem, Schleswig Holstein u.a. übernehmen inzwischen die Impfkosten bei allen Kindern. In Bayern wird streng nach den Empfehlungen der STIKO Richtlinie geimpft.
Aber die Erfahrung zeigt, dass über ein persönliches Gespräch mit dem Sachbearbeiter die Impfung auch hier übernommen wird.
Gegen die anfängliche Irritation und Skepsis der praktizierenden Kinder-und Jugendärzte über diese vielleich doch überflüssige Impfung wurde argumentiert, dass doch häufigere und schwerwiegendere Folgen auch bei den vermeinlich harmlosen Windpocken auftreten. Das sind neben den bekannten Organkomplikationen wie Lungenentzündung, Mittelohrentzündung und Kleinhirnentzündung vor allem auch die schweren bakteriellen Hautinfektionen.
Natürlich hat auch eine windpocken- geimpfte Umgebung einen schützenden Effekt auf schwangere Frauen, auf kranke Kinder und Erwachsene, die nie geimpft wurden und auch an Windpocken bisher nie erkrankt waren. Dieser Schutz gilt auch für kleine noch im Säuglingsalter befindliche kranke und gesunde Kinder.
Zuguterletzt wird auch der ökonomische Effekt zu bedenken sein, da eine Isolierung für 8- 10 Tage für manche arbeitende Mutter -insbesondere bei mehreren Kindern- zum Problem werden kann. Hinzu kommt der volkswirtschaftliche Spareffekt von vermeidbaren Krankheitstagen.
Wir Kinder- und Jugendärzte bieten diese Impfung inzwischen an und stellen fest, dass diese von den Eltern immer häufiger positiv angenommen wird. Ein erneuter Impfschub dürfte anlaufen, wenn die Kombinationsimpfung: Masern-Mumps-Röteln+ Windpockeni auf dem medizinischen Markt sein wird.
Die Verträglichkeit der Impfung ist sehr gut, ganz selten sind schwerwiegende Komplikationen beschrieben.
Einen 100% -igen Schutz gibt es auch bei dieser Impfung nicht, immer mal wieder kommen Impfversager vor.



ein update (18. 09.2007)
Die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass die Windpockenimpfung keinen langdauernden Schutz vor einer Windpockeninfektion verleiht. In den USA gibt es seit dem Jahre 1995 eine allgemeine Empfehlung zur Windpockenimpfung, die auch in der Bevölkerung auf eine hohe Akzeptanz stößt. Es treten zwar sehr viel weniger Windpockenfälle gegenüber der Vorimpfära auf, aber es hat sich erwiesen, dass die Impfung nur eine begrenzte Langzeitimmunität verleiht (New England Journal of Medicine 2007; 356,1121-1129).
Da auch hierzulande immer mehr Kinder gegen Windpocken geimpft werden, verschiebt sich entsprechend auch das Erkrankungsalter: Die Kinder sind älter. Waren es vor der Impfung vor allem Kleinkinder im Kindergarten, die an Windpocken erkrankten, sind es heute mehr die älteren Kinder, die bereits in der Schule sind. Da die Komplikationsrate mit zunehmendem Alter steigt, wird eine zweite Impfung im Alter von etwa 4 Jahren empfohlen.
Eine offizielle Empfehlung gibt es in Deutschland zu dieser Problematik noch nicht. Man hofft aber, dass mit einer zweiten MMRV (Masern-Mumps-Röteln und Windpocken) Kombi-Impfung sich dieses Problem vielleicht von allein lösen könnte. Die MMR-V- Impfung wird ja wie die MMR- Impfung ein zweites Mal in kurzem Abstand verabreicht. Im Moment wird diese Kombinationsimpfung von den Krankenkassen noch nicht übernommen, da sie gegenüber den Einzelimpfungen MMR und Windpockenimpfung zu teuer ist.
aus Kinder und Jugendarzt 38.JG.(2007) Nr.4
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